Nur noch wenige Tage und Stunden, dann ist es wieder soweit, und Mühlhausen steht im Zeichen der Kirmes. Eine ganze Woche bestimmt sie den Alltag, besonders in den Kirmesgemeinden. Mühlhausen. Viele Auswärtige, die zum ersten Mal die Kirmes erleben, sind überrascht, was sich in dieser Woche in Mühlhausen abspielt. Vor allem der Kirmessonntag mit seinem großen Festumzug übt auf die Gäste eine besondere Faszination aus, gibt es doch Vergleichbares in Deutschland nicht. Die Gäste erfahren bei ihrem Besuch, dass die Kirmes in Mühlhausen eine jahrhundertealte Tradition hat, aus den Kirchweihfesten entstanden ist und schon immer in der ganzen Stadt gefeiert wird. Wann das erste Mal eine Kirchweihe in Mühlhausen begangen wurde, ist heute nicht mehr zu ermitteln, wird aber wohl im 12. Jahrhundert mit Fertigstellung einer der vielen Kirchen gewesen sein.
Die Kirmes, wie sie 1948 am Vogteier Platz gefeiert wurde. Das Motto hieß damals "Vogteier Trachten", wie unschwer zu erkennen sein dürfte.
Foto: Ludwig Pöhlitz
Eine Kirche in der gepredigt werden sollte, musste geweiht werden. Da Mühlhausen eine Vielzahl von Kirchen hatte, nach der Chronik von Ch. Gottlieb Altenburg waren es im Mittelalter 16, konnten die Mühlhäuser von April bis in den Herbst hinein zu einem der Kirchweihfeste gehen, denn jede der Kirchgemeinde feierte für sich. Der Besuch beschränkte sich auch damals schon nicht nur auf die eigene Kirchgemeinde, sondern man ging auch in die anderen Kirchgemeinden. Dass dies von den kirchlichen und weltlichen Herren nicht immer gern gesehen wurde, liegt auf der Hand, sollten doch die Bürger schaffen und für den Wohlstand der Herren sorgen und nicht immer zu irgendeiner der Kirchweihen gehen. Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer Bestrebungen dies zu unterbinden und die Kirchweihfeste auf eine bestimmte Zeit festzulegen. Nach der Reformation versuchte die evangelische Kirche dies durchzusetzen, aber die Bürger hielten sich nicht daran. Sie feierten weiterhin ihr Kirchweihfest.
Kirchweihfeste nahmen Volksfest-Charakter an
Eine Bauernweisheit besagte damals: Ist eine Kirche noch so klein, einmal im Jahr muss Kirmes (Kirchweih) sein. Im Laufe der Zeit nahmen die Kirchweihfeste immer mehr den Charakter eines Volksfestes an. Schon im 17. Jahrhundert begannen die weltlichen Lustbarkeiten immer mehr in den Vordergrund zu rücken. Der eigentliche Grund der Kirchweihe ging mit der Zeit verloren. Diese Art der Kirchweihfeiern war der Obrigkeit immer mehr ein Dorn im Auge. 1808 drängte die westfälische Regierung ganz massiv auf eine Veränderung der zeitlichen Abfolge der Kirmesfeiern (Mühlhausen gehörte unter Napoleon von 1807 bis 1814 zum Königreich Westfalen).
Am 2. September 1809 veröffentlichte das Neue Mühlhausische Volksblatt eine Bekanntmachung des damaligen Bürgermeisters Stephan, in der angeordnet wurde: " . . . das auf wiederholt ergangenem höheren Befehl sämtliche Kirmesfeste nur an den Sonntagen im Monat Oktober jeden Jahres von sämtlichen Gemeinden an zwei Tagen nämlich Sonntag und Montag gefeiert werden dürfen, es wurde die genaue Befolgung dieses Befehls bei Vermeidung unangenehmer Folgen erwartet". Allerdings haben sich die Mühlhäuser nicht daran gehalten, denn schon im Jahr 1810 wurde zur Kirmes im September eingeladen. Bis 1877 gab es immer wieder Versuche, dies durchzusetzen.
Die Mühlhäuser ließen sich aber nicht beeindrucken und feierten die Kirmes in altbekannter Weise. 1870 bekam Mühlhausen mit dem Bau der Zweigbahn Gotha - Leinefeld Anschluss an das Eisenbahnnetz Deutschlands. Damit begann auch in Mühlhausen das Industrie-Zeitalter. Das leitete schließlich auch das Ende der Kirchweihfeiern ein, wie sie bis dahin gepflegt wurden. Am 2. März 1877 stand eine entsprechende Anordnung in der Zeitung. Danach fand vom 9. bis 11. September 1877 die erste gemeinsame Kirmes aller Kirchgemeinden in Mühlhausen statt - so, wie es auch heute noch üblich ist.
Reinhard Laubsch / 22.08.12 / TA